Enrico
Faccini wurde am 2.März 1962 in Santa Margherita
Ligure (Genova/Genua) geboren und zeichnet seit
Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre Comics für
italienische Comic-Publikationen.
Im August 2004 hat er uns freundlicherweise
dieses Interview gegeben, wofür wir ihm an
dieser Stelle nochmals danken wollen: Grazie,
Enrico! ;)
LTB-Online:
Enrico, zunächst natürlich einmal die Frage,
wie du zu deinem Job als Comic-Zeichner für
Disney gekommen bist. Wie lange zeichnest du
schon Comics, welche Zeichnerkollegen haben deine
Arbeit entscheidend beeinflusst und geprägt? Und
zeichnest du neben den Disney-Abenteuern noch
anderen Comics?
Enrico
Faccini: Ich begann etwa 1987/1988
Comics zu zeichnen. Nach einer wenig
erfolgreichen Hochschulkarriere entschloss ich
mich einige Probe-Zeichnungen anzufertigen und
mich als Werbezeichner oder als
Comic-Zeichner zu bewerben. Ich schrieb und
zeichnete eine Version von Edgar Alan Poes
"The Black Cat" ("Die schwarze
Katze" im Deutschen, Anm. v. LTB-Online)
und legte diese einem aus Genua stammenden
Comic-Agenten vor, der sich gut mit populären
italienischen Comics wie zum Beispiel Disney oder
Sergio Bonelli editore auskennt. Er
empfahl mir, mich auf das Comic-Genre zu
spezialisieren. Ich mochte Disney schon immer, so
dass mir diese Wahl leicht fiel. Ich fertige
alsbald einige Testzeichnungen an und kopierte
besonders den Scarpa der späten 60'er/ frühen
70'er.
Einhergehend hiermit intensivierte ich auch meine
Übungen was das Inken von Geschichten betrifft.
Im März 1988 wurde ich dann dem italienischen
Story-Autoren Carlo Chendi vorgestellt und im
Oktober des gleichen Jahres dem Top-Zeichner
Giovan Battista Carpi.
Von diesem Augenblick an blieb ich im
wöchentlichen Kontakt mit Carpi, welcher mir die
stilistische Basis beibrachte und mich
mit Ratschlägen, Hinweisen und
Verbesserungsvorschlägen versorgte. Der Einfluss
Carpis bei meiner allerersten veröffentlichten
Geschichte "Qui Quo Qua e il rock
rimbombéros" (In Deutschland als
"Eine fetzige Alarmanlage" in LTB 153
und in LTB-Spezial 2 zu finden; Anm. v.
LTB-Online) ist unverkennbar.
Ein paar Jahre später bekam ich die Chance für
3 oder 4 Geschichten mit dem großartigen Romano
Scarpa zusammenzuarbeiten, welcher mir wichtige
Ratschläge geben konnte. Fortan sollte ich auf
den eigenen Füßen stehen.
2 Panel aus Faccinis allerersten
veröffentlichten Geschichte
Die
besten Disney-Comic-Künstler sind für mich
Barks und Gottfredson (mit Walsh, DeMaris etc.),
was die Kombination Story/Zeichnungen angeht.
Mein persönlicher Favorit, was einzig und allein
die Zeichnungen angeht, ist der Stil von Romano
Scarpa etwa zwischen 1967 und 1974. Wenn man hier
genau auf seine Zeichnungen achtet, wird man nie
zwei Mal den identischen Gesichtsausdruck bei
einem Charakter vorfinden.
Scarpas Figuren treten in seinen Geschichten
unvorstellbar real auf, etwa wie Schauspieler.
Man vergisst fast, dass man "nur" einen
Comic liest. Zudem findet man hier das wohl
größte Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten der
Charaktere in sämtlichen Disney-Comics vor. Sehr
subtil und mit großer Finesse ist Scarpa in der
Lage, jedes noch so kleine Gefühl der Figuren,
seien es Enten oder Mäuse, bildlich
darzustellen, ohne sich selbst zu wiederholen.
Heutzutage wiederholen sich zahlreiche
Comic-Künstler selbst - auch die Etablierten...
Meine
ganzes künstlerisches Schaffen ist einzig und
allein auf Disney ausgerichtet. Ich habe kein
Non-Disney-Projekt, mit dem ich beschäftigt bin,
nur ein paar grobe Skizzen hier und da über
die Jahre. Ich habe keinen sehr
großen Comic-Ausstoß, da ich neben meiner
Tätigkeit als Comic-Zeichner noch einen zweiten
Job habe. Ich arbeite abends in der technischen
Abteilung einer Zeitung in Genua als Layouter.
Diese beiden Tätigkeiten unterscheiden sich sehr
und haben sehr wenig gemeinsam, morgens finde ich
dann die Zeit, Disney-Comics zu zeichnen.
2 Jobs zu haben, macht mir keine großen
Probleme, da ich zusammen für gewöhnlich 8-9
Stunden am Tag arbeite und dies 5 bis 6 Tage in
der Woche. Dieses Vorgehen kommt mir für meine
persönliche Zukunftssicherung sehr entgegen.
LTB-Online:
Die meisten deiner Comics sind mit einer Länge
zwischen 20 und 30 Seiten verhältnismäßig
kurz. Dennoch sind sie aufgrund ihres eigenen,
unverkennbaren Humors (Sie gehören vermutlich zu
den humorvollsten Disney-Comics der letzten
Jahre) sofort erkennbar. Ich kann mich nicht
erinnern, jemals eine längere
Abenteuergeschichte von dir gelesen zu haben.
Bevorzugst du die kurzen Storys oder könntest du
dir auch vorstellen, mal eine längere
Abenteuergeschichte oder etwas Vergleichbares
zeichnerisch umzusetzen?
Um
beim Thema zu bleiben: Nach meinem Eindruck
werden die italienischen Geschichten in den
letzten Jahren immer kürzer. Gab es vor einigen
Jahren noch zahlreiche Comics mit 50-60 Seiten,
so ist dies heute eine sehr seltene Ausnahme.
Würdest du mir zustimmen, dass es diesen Trend
zu kürzeren Geschichten gibt und hast du eine
Erklärung hierfür?
Enrico
Faccini: Die meisten 50-60-Seiter wurden
bis zu den 80er-Jahren in Italien
veröffentlicht und waren für gewöhnlich geteilt
und wurden über 2 aufeinander
folgende Topolinos (Italienisches
Pendant zum LTB, ~ 100-seitig, Erscheinungsweise
wöchentlich, Anm. v. LTB-Online) verteilt
veröffentlicht. Die letzten Panels des
ersten Teils endeten zumeist mit einem
spannungsgeladenen Höhepunkt, so dass ich mich
gut erinnern kann, dass ich es als Kind kaum
erwarten konnte in der nächsten Woche endlich
die Fortsetzung der Geschichte zu lesen.
So kann ich mich z.B. ganz besonders gut an
"Topolino e i ladri d'ombre" (Als
"Micky und die Schattendiebe" in LTB 40
erschienen; Anm. v. LTB-Online), mit
wunderschönen Zeichnungen von Carpi erinnern.
Als nun meine Schaffensperiode begann, war diese
Vorgehensweise bereits überholt, da die
neu herangewachsene Leser-Generation wenig von
ihr zu halten schien. Junge Leser scheinen heute
mehr Gefallen an "Fast Food-Comics", an
"One-Shot-Stories" zu finden.
Nichtsdestotrotz gibt es auch heute noch manchmal
etwas längere Stories von Cavazzano oder De Vita
(Für gewöhnlich auch geteilt, aber am Anfang
und Ende einer Ausgabe abgedruckt).
Unabhängig davon bevorzuge ich kurze Szenarios,
vorzugsweise mit den Ducks. Vielleicht wären die
längeren Geschichten bei Maus-Comics für mich
etwas reizvoller. Die Zukunft wird es zeigen.
LTB-Online:
Wer deine Comics liest, kommt nicht umhin zu
bemerken, dass du ein Faible für Donald und
insbesondere Dussel zu haben scheinst. Was macht
diese Charaktere für dich als Comic-Künstler
besonders reizvoll?
Die allermeisten italienischen zeichner haben
sowohl Duck, als auch Maus-Geschichten
gezeichnet. So ich recht informiert bin, hast du
vor einigen Jahren 2-3 Maus-Comics gezeichnet.
Könntest du dir vorstellen, auch wieder neue
Maus-Comics zu zeichnen?
Enrico
Faccini: Ich bevorzuge die
Ducks-Stories, da sie mir erlauben, verrückte,
surreale Slapstick-Geschichten zu zeichnen.
Während die Maus sich wohl charakterlich immer
von der vortrefflichsten Seite präsentiert wie
"Roosevelt's New Deal", [der
damalige Eingriff in die amerikanische
Wirtschaftspolitik zur Beendung der
Weltwirtschaftskrise; Anm. v. LTB-Online],
ein positives Vorbild ist, dem man gerne folgen
möchte, ist die Ente einfach wie ich und du.
Ein ganz normaler Mensch, mit all seinen Fehlern,
Ecken und Kanten. Die Ente kann sich wie ein
Clown verhalten (Dussel beispielsweise IST ein
verrückter Clown...).
Micky Maus kann diese Rolle NICHT einnehmen.
Zudem
bin ich der Meinung, dass die Maus komplexere und
subtilere Story-Ideen benötigt
In der jüngeren Vergangenheit habe ich ein paar
Maus-Stories verfasst, aber die Verleger haben
meine Vorschläge abgelehnt. Die Handlungen waren
recht extrem, meine Absicht war das
Gottfredson-Flair zu erneuern, wenn
möglich auch indem ich das spezielle
"autoadhesive pointed paper" (selbstklebendes,
leicht punktiertes Papier, Anm. v. LTB-Online)
verwenden würde.
Die Verleger schätzten meine Bemühungen sehr,
allerdings wurden meine Vorschläge für zu
furchteinflößend gehalten, fast erschütternd
für die jünsten Leser. (Man erinnere
sich an "Mickey Mouse and the war
orphans" von Gottfredson und Walsh...).
Ein
Panel aus Faccinis bislang einziger in
Deutschland veröffentlichter Maus-Story
"Der Urmensch aus dem Eis" aus Donald
Duck-TB Nummer 463.
LTB-Online:
Mich würde interessieren, wie bei einer
Produktion der Verfasser des Plots auf der einen
und der Zeichner auf der anderen Seite
zusammenkommen. Du selbst hast oft beides
gemacht: Das Schreiben der Geschichte und
hinterher die zeichnerische Umsetzung. Wieviel
Einfluss hat ein Zeichner denn eigentlich bei der
Auswahl der Story?
Enrico
Faccini: Wenn ich selbst eine Handlung
verfasse, muss ich diese erst dem Verleger
vorlegen. Sofern dieser diese abnickt, kann ich
diese dann umsetzen.
Im anderen Fall muss ich nach einer Storyidee
fragen, die mir dann zur Verfügung gestellt
wird. Der Einfluss des Zeichners darauf,
welches Skript er erhält, hängt
letztlich davon ab, wie "berühmt" der
Zeichner ist und welches "Standing" er
hat.
Für gewöhnlich suche ich mir keine Story aus,
sehr wohl drücke ich aber dann und wann meine
Vorliebe für bestimmte Autoren aus. So bekomme
ich manchmal, was ich mir wünsche - manchmal
nicht. Das hängt letztlich auch davon ab, was
für Skripts gerade verfügbar sind. Letztes
Jahr habe ich mit meinen beiden Disney-Freunden
aus Genua, Andrea Freccero und Andrea Ferraris
zusammengearbeitet, wobei ich für sie jeweils
die Storys geschrieben habe. Es ist eine sehr
interessante Art zu arbeiten, wenn man sich
gegenseitig in der Storyfindung beeinflussen und
voranbringen kann (Ausarbeitung von Gags,
Umsetzung von Vorschlägen etc.).
Momentan arbeite ich gerade an zwei Projekten
für Freccero. Vor 3 oder 4 Jahren habe wiederum
ich beispielsweise eine Geschichte gezeichnet,
die Corrado Mastantuono extra für mich
geschrieben hatte.
LTB-Online:
Mal was ganz anderes: Ist man sich als
Ersteller eines Disney-Comics darüber im Klaren,
dass ein Großteil der Leser den fertigen Comic
in wenigen Minuten gelesen und womöglich noch
schneller wieder vergessen haben wird?
Enrico
Faccini: Ja, manchmal kommen einem
solche Gedanken. Aber ich denke, die beste
Belohnung für seine Arbeit ist es, EINE WIRKLICH
GUTE IDEE ZU HABEN, UND DAZU DIE MÖGLICHKEIT,
DIESE ZEICHNERISCH UMZUSETZEN. Wenn diese
wundervolle Kombination wahr wird, denke ich an
nichts anderes mehr: Keine Probleme, kein Geld,
keine Zeit - all meine Konzentration gilt dann
dem Zeichnen und fließt in die einzelnen Panels
ein. Es ist, als würde man in eine andere
Dimension eintauchen, einen wunderbaren Planeten
der Fantasie. Das ist wirklich sehr aufregend!
Ich
habe über die Jahre Anerkennung auf verschiedene
Art und Weise erhalten, von Lesern aus Italien
und Europa. Ich empfinde dabei ein gutes Gefühl,
da es zeigt, dass du einen guten Job machst.
Deine Arbeit wird anerkannt.
Geld ist sicher nicht unwichtig, kommt aber für
mich nicht an erster Stelle."Pecunia non
olet" ("Geld stinkt nicht")
pflegten die alten Römer zu sagen.
LTB-Online:
Abschließend würde ich gerne noch
wissen, wie das Verhältnis der Comic-Künstler
untereinander ist. Kennst du die meisten deiner
Kollegen persönlich oder arbeitet jeder
unabhängig voneinander vor sich hin?
Enrico
Faccini: Ja, ich kenne nahezu jeden
italienischen Disney-Künstler persönlich. Ich
komme oft nach Mailand und besuche die dortigen
Disney Company Italia. Ich habe dort viele
freundschaftliche Beziehungen. Arbeiten tue ich
hier in einem Studio in Genua zusammen mit Andrea
Freccero und den jungen Francesco D'Ippolito
sowie Paolo De Lorenzi. Allesamt gute
Disney-Zeichner. Vor einigen Jahren war ich zudem
noch in einem anderen Studio zusammen aktiv mit
Andrea Ferraris und dem Inker Santa Zangari. Man
kann sagen, dass die ganze
"Genua-Gruppe" eine gute Freundschaft
miteinander verbindet.
Einmal im Jahr organisiert Disney Italia eine
große Künstler-Versammlung (Das war dieses Jahr
zum Beispiel im Mai auf der Insel Elba). Alle
italienischen (plus ein paar französische,
dänische und amerikanische) Autoren, Zeichner,
Verleger, Comic-Historiker sowie einige
Journalisten kommen zusammen (Wir waren dieses
Jahr 250 Personen !). Dort kommen dann sowohl die
hoffnungsvollen Nachwuchskünstler als auch die
alten Veteranen zusammen und verbringen etwas
Zeit miteinander. Da gibt es natürlich viel zu
erzählen, Meinungen werden ausgetauscht, es wird
viel getrunken, gelacht, gestritten, Fußball
gespielt, getaucht - kurz gesagt: Es findet eine
große Party statt.
Außerdem verleiht die Disney Company Italia
jährlich den "Topolino d'Oro" (Eine
goldene Micky Maus, eine Art "Oscar"
für Disney-Comics), mit dem der beste Autor, der
beste Künstler, der beste Zeichner etc.
ausgestattet werden. "Best comic artist
2004" war mein guter Freund Andrea Freccero.
Seine große und glitzernde Maus-Statue dominiert
nun unser Studio vom oberen Regal aus.
Manchmal schüchtert mich diese Statue richtig
ein, ich hoffe eines Tages wird Disney mich mit
einer gigantischen Goldenen Ente als Gegenpart
auszeichnen (Okay, das war nur ein Witz...).
Faccini heute (aus "Lebensechte
Motive", LTB 324)
Ein paar Monate
nach dem Interview (Genauer gesagt, im
Mai 2005), bekamen wir eine aktuelle
Nachricht von Enrico Faccini, wonach er
mit der "Goldenen Maus 2004"
als bester "Scriptwriter"
ausgezeichnet wurde. Auf den folgenden
drei Fotos sieht man Enrico mitsamt
Auszeichnung.
Klick auf die Bilder
für größere Ansicht.
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