Giorgio Cavazzano ist unbestritten eine der ganz großen Personen der Disney-Comic-Szene und hat mit seinen Comics nicht nur die Welt der italienischen Disney-Comics entscheidend geprägt und beeinflusst.
Grund genug sich etwas genauer mit dem vielleicht zeichnerisch besten (italienischen) Comic-Zeichner überhaupt auseinanderzusetzen.


Selbstpotrait und in Natura: Giorgio Cavazzano (Foto: Rohleder)

Cavazzano wurde am 19. Oktober 1947 in Venedig geboren und lebt heute noch dort. Seine Zeichnerkarriere war gewissermaßen vorbestimmt, half er doch schon in jungen Jahren seinem Cousin Luciano Capitano beim Ausgestalten der Hintergründe und hatte später das Glück, die Zeichnungen Romano Scarpas tuschen zu dürfen. Kein schlechter Wink des Schicksals, wenn man sich als junger, hoffnungsvoller Comiczeichner unter die Fittiche der Institution schlechthin auf diesem Gebiet begeben darf. Cavazzano verrät im Interview mit Bernd Glasstetter für die Splashpages, dass es Scarpa war, der ihn lehrte den Bleistift richtig zu halten und die eigene Phantasie gewissermaßen auf Papier festzuhalten.
Cavazzano war nicht der einzige Zeichner, der Scarpa in dessen langer Schaffensperiode unterstützen durfte. Aber nur ihm gelang es wirklich aus dem Schatten seines Lehrmeisters herauszutreten und selbst Generationen junger Comiczeichner zu beeinflussen. Kaum ein Zeichner der 3. italienischen Zeichner-Generation von Camboni über Faccini bis zu Silvia Ziche, der Giorgio Cavazzano nicht sein Vorbild nennt. So bezeichnet Camboni Cavazzano etwa als Zeichner, der "in mir das "heilige Feuer" der dynamischen Disneywelt entfacht hat: Comics, die unentwegt in Bewegung sind und mit verblüffenden Kameraeinstellungen begeistern."
Das trifft es recht gut, waren doch nicht nur Cavazzanos Zeichnungen bahnbrechend für die italienische Comicwelt – auch sein Talent die Figuren aus ungewöhnlichen, nicht standardisierten Positionen in Szene zu setzen, hatte ihren Einfluss auf eine neue, dynamischere Geschichtenerzählung.

Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, 1962 erschien zunächst die erste gemeinsame Arbeit von Scarpa und Cavazzano. „Paperino e la gloria nazionale“ (Donald in geheimer Mission, LTB 4) ist die erste Geschichte, bei der Cavazzano die Vorzeichnungen Scarpas tuschen durfte.
Scarpa arbeitete übrigens sehr gerne mit jungen Zeichnern zusammen, die ihm das Tuschen abnahmen und somit eine sehr große Produktivität möglich machten.

1967 debütierte er als Zeichner einer völlig selbständig gezeichneten Geschichte, „Paperino e il singhiozzo“ („Ein schwerer Fall“, TGDD 132 u.a.). Die ersten eigenen Comics werden ihm überwiegend von Carlo Chendi und Rodolfo Cimino geschrieben. Dafür, und für die vielen Facetten der Comickunst, die Cavazzano von den beiden Autoren gelernt hat, ist er ihnen bis heute sehr dankbar – wie man u.a. in Ausgabe 43 der Fachzeitschrift „Reddition“ nachlesen kann.

Durch die Zusammenarbeit mit seinem Lehrmeister (über 10 Jahre arbeiteten die beiden zusammen) machte sich Cavazzano den Stil Scarpas zu eigen und entwickelte aus diesem nach und nach seinen eigenen Stil, den er bis heute immer mal wieder weiterentwickelte und veränderte Heute ist Cavazzanos Zeichenstil, wie bereits erwähnt, selbst Vorbild für fast alle jungen italienischen Zeichner.

Viele Zeichner überzeugte der dynamische und trotzdem (oder gerade deshalb) nahezu perfekt wirkende Stil Cavazzanos so sehr, dass sie diesen übernahmen und ihre Werke nahezu Cavazzano-Klonen glichen. Den meisten Künstlern wie etwa Corrado Mastantuono oder Alessandro Gottardo gelang es dann schon recht bald, aus dieser "Kopie" sehr gelungene eigene Stile zu entwickeln. Und wenn man ehrlich ist, kann ein Künstler kaum eine bessere Entscheidung treffen, als sich für den Einstieg in die eigene Comic-Karriere Giorgio Cavazzano zum Vorbild zu nehmen..

Vielleicht auch durch die Tatsache, dass manche Comics aus fremder Feder doch allzu "cavazzanoesk" daherkamen, hat sich der Maestro immer wieder zu ziemlich deutlichen Stiländerungen entschieden. Inwiefern die einzelnen Stile bewusst Einzug gefunden haben oder einfach Ergebnis der jahrelangen Erfahrungen sind, ist heute aber sicherlich müßig zu diskutieren.


Stilepochen Cavazzanos: Scarpas Schüler, "Techno", der Stil der 90er und heute (v.l.n.r.)

Werfen wir einmal einen genaueren Blick auf die zeichnische Entwicklung des venezianischen Künstlers, dessen neuartiger, schwingender Zeichenstil die europäische Comickultur entscheidend mitgeprägt hat.
In den frühen Jahren noch unverkennbar von Scarpa inspiriert, rüttelte er die Comicwelt beispielsweise Mitte der 70er mit seinem unkonventionellen, aber unwahrscheinlich dynamisch und humorvoll überzeichneten “Techno-Zeichenstil”auf. (Sehr empfehlenswert zu diesem Thema: Die Einteilung von Stilepochen nach Frank Stajano). Kaum zu übersehen, dass diese persönliche, so ganz andere Art der Inszenierung der Charaktere auch beispielsweise in Skandinavien ihre Einflüsse hinterlassen hat (zum Beispiel beim Dänen Flemming Andersen).
Zusammen mit Giorgio Pezzin, mit dem Cavazzano fortan immer häufiger zusammenarbeiten sollten, entstand ein kongeniales Duo, welches eine ganze Reihe erinnerungswürdiger Comic-Abenteuer schuf.
Wieder später hat der Meisterzeichner es sich leisten können, einen neuen und völlig anderen Stil zu kreieren. Scheinbar spielend leicht gelingt ihm die Umstellung, die Figuren nun trotz weiterhin dynamischer Pinselführung ruhiger und “sachlicher” erscheinen zu lassen.
Seine Zeichnungen hinterlassen den Eindruck, dass die Figuren genau so auszusehen haben, wie Cavazzano sie gezeichnet hat. Kein Wunder dass sich unwahrscheinlich viele Künstler zu Karrierebeginn hier ihre Vorlage herausgesucht haben.

Heute scheint dieser ruhige, homogene, ja fast perfekte Stil ihm schon nicht mehr genug, ist in den letzten Jahren doch wieder ein neuer Trend zu einer neuen Form der Stilisierung zu erkennen gewesen. Dieser generelle Trend von den ruhigen, runden zu stilisierteren, eckigereren Formen ist mittlerweile aber ja auch bei anderen Künstlern wie Massimo de Vita auszumachen.
Welche Schaffensperiode Cavazzanos nun als die beste angesehen wird, bleibt natürlich jedem Leser selbst überlassen.


Zeichnung und endgültiges Cover: Diese Szene zeichnete Cavazzano
für das Cover des französischen "Mickey Parade 234".
Es gehört zur Geschichte "Sandsturm über Entenhausen" von Mezzavilla/Mottura (LTB 269)

Auch einige Figuren des uns heute so vertrauten Entenhausen-Kosmos entstammen der Feder Cavazzanos: Donalds heimlicher Weltraum-Liebe Marbella (übrigens auch nach einem Script von Cimino) gab Cavazzano zum Beispiel ihr Aussehen. Und auch der Außerirdische Quacky, der immerzu nach seinem als Münze getarntem Raumschiff sucht, hatte ihn zum Geburtshelfer.

Richtig lange Auszeiten bei der Produktion von Disney-Comics hat Giorgio Cavazzano sich nie zugestanden; dennoch hat er sich auch immer wieder an andere Projekte herangetraut.
Zusammen mit dem großartigen Giorgio Pezzin, der ja auch viele tolle Geschichten aus dem Lustigen Taschenbuch verfasst hat, entstanden so die Serien “Walkie & Talkie”, “Oscar e Tango” oder “Smalto & Jonny”. Mit Tiziano Sclavi kreierte er zudem “Altai & Johnson” und “Peter O'Pencil” und später dann mit Francois Corteggiani die Reihe “Captain Rogers”. Ende der 70er Jahre zeichnet er zeitweilig auch für die französische Zeitschrift “Pif” die Figuren “Pif und Hercules”. Mit Tito Faraci entstanden neben dem für Disney erstellten “Jungle Town” und Marvels “Spiderman in Venedig” auch erst kürzlich weitere Werke fern von Mäusen und Enten.
Eines ist aber schon sehr augenfällig: Egal welchem Metier er sich annimmt, ob komisch oder ernst, ob mit tierischen oder menschlichen Protagonisten: Immer schafft es der Norditaliener zu überzeugen und trotzdem seine eigene Note unübersehbar in die Arbeit mit einzubringen. Auf jeden Fall ist es offensichtlich, dass er die Abwechslung schätzt, immer neues ausprobieren möchte und nicht im Traum daran denkt sich auf bereits verdienten Lorbeeren auszuruhen. Noch einmal Cavazzano selbst im Interview mit Bernd Glasstetter: “Für einen Zeichner ist es fundamental immer wieder etwas Neues zu machen und den Leser beständig mit neuen Reizen zu versorgen.”.


Auch außerhalb von Disney-Comics in Top-Form: Captain Rogers (links) und Spiderman.


Oder auch in Disney-Comics ohne altbekannte Disney-Akteure: Jungle Town

Der Vater zweier Söhne hat sich fast immer auf das Zeichnen konzentriert und nur ganz wenige Geschichten selbst geschrieben. Das liegt ganz einfach daran, dass ihm das Zeichnen nach eigener Aussage mehr Spaß bringt und er es liebt, die Szenarien guter Autoren umzusetzen.
Dennoch sind einige sehr bemerkenswerte Geschichten erschienen, an denen er auch als Autor selbst mitgewirkt hat.
In erster Linie ist dort die Geschichte “Topolino e Minni in 'Casablanca'” zu nennen; einer - vom Schluss abgesehen – komplett schwarz/weiß getuschten Hommage an den Hollywoodstreifen mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman. Besonders pikant ist hier der Auftritt von Kater Karlo, der ganz offensichtlich eine verfremdete Nazi-Uniform trägt. Vermutlich ist das auch einer der Hauptgründe, dass es dieses famose Abenteuer nie nach Deutschland geschafft hat (und so schnell auch nicht schaffen wird).


"Casablanca"-Parodie Cavazzanos

Auch immerhin 2-3 weitere beachtliche Szenarien wie “Abenteuer-Urlaub für Millionäre” aus LTB 122 oder “Der goldene Löwe” aus LTB 153 stammen von ihm. Seit Ende der 80er Jahre beschränkt er seine Autorentätigkeit allerdings auf das Entwickeln von oftmals wunderschönen Covern für das italienische Topolino und das französische “Mickey Parade”. Verwendung gefunden hat sein Gruppenbild der Disney-Charaktere für den französischen Verlag einige Jahre später auch in Deutschland. Vielleicht auch durch das Drängen von LTB-Online und der User im “Disney Comics Forum” konnten sich die LTB-Leser über die bislang sicherlich schönste Buchrückenüberraschung der LTBs 294-319 freuen.


Netter Sidekick: Donald trifft (nicht) auf Basil den Mausdetektiv:
Der Comic zum Disney-Kinofilm stammt auch von Cavazzano (rechts).

Cavazzano zeichnet wie der Großteil der italienischen Comickünstler sowohl Maus-, als auch Duckstories. Etwas mehr ans Herz gewachsen ist ihm allerdings, wie er schon häufiger angemerkt hat, mittlerweile die Figur der Micky Maus. So erwähnt er u.a. auch im Interview mit Bernd Glasstetter, dass die Maus ein besonder, schwieriger, aber auch reizvoller Charakter sei, der keiner großen Gesten bedarf – letztlich aber in ganz besonderem Maße auf gute Autoren und Zeichner angewiesen ist, die mit ihm umzugehen vermögen.

Wie gut er selbst mit Micky Maus umzugehen weiß, hat er oft bewiesen. Sein wahres Meisterstück hat er diesbezüglich aber vielleicht mit dem wirklich umwerfend toll gestalteten Band 0 der Serie “Mickey Mouse Mystery Magazine” (Leider nur in Italien veröffentlicht) geschaffen, deren ernste Grundstimmung und unsagbar gute Zeichnungen im Disney-Kosmos vermutlich ihresgleichen suchen. Ein absolutes Muss für jeden Cavazzano-Fan.

Cavazzanos Zeichentalent ist natürlich auch über die italienischen Grenzen hinaus gedrungen, so dass er es sich neben seiner immer noch sehr produktiven Arbeit für Disney Italia auch erlauben kann, weiterhin an Soloprojekten zu arbeiten.
2003 entstand zum Beispiel für Marvel in Zusammenarbeit mit Tito Faraci das bereits angesprochene, ziemlich gelungene Spiderman-Abenteuer, in dem der Comic-Superheld Cavazzanos Venedig unsicher macht. Dort zeigt sich wieder einmal die scheinbar grenzenlose Vielfältigkeit des Künstlers, der auch dank solcher geglückten Ausflüge in andere Comic-Genres sich nicht auf den Disney-Kosmos festnageln lassen muss.
Bei besagtem Spiderman-Abenteuer kommen seine zeichnerische Stärken voll zur Geltung, kann er doch gekonnt „sein Venedig“ graphisch in Szene setzen. Durch seine detailgetreu gezeichneten Gebäude, mysteriös-dunkle Gassen und liebevoll ausgestalteten Hintergründe lässt er auch bei den Lesern, die noch nie selbst in Italien waren, ein realistisch anmutendes inneres Bild von Venedig entstehen. Sein dynamischer Tuschstil ist zudem natürlich äußerst prädestiniert dafür, einen actionreichen Superhelden-Comic zu inszenieren


Unübertroffen: In der ersten Ausgabe des "Mickey Mouse Mystery Magazine"
hat Cavazzano die Chance sein zeichnerisches Talent voll zu entfalten.

Geteiltes Echo fand eine der aktuelleren Arbeiten für Disney. Nach einem Skript von Egmont-Chefredakter Byron Erickson entstand die “Dragonlord”-Saga. Die Abenteuer der Ducks in der Paralleldimension der Drachenritter wurde in Deutschland in 12 Teilen im “Donald Duck Sonderheft” (auch bekannt als TGDD) erstveröffentlicht und musste sich aufgrund der für die Leser-Klientel ungewohnten Erzählform einige Kritik gefallen lassen.
Trotz dem vereinzelt sicher etwas in die Länge gestrecktem Plot leistet Cavazzano hier erneut sehr gute Arbeit – und am Stück gelesen gibt das über 160 Seiten starke Fantasy-Abenteuer doch ein sehr schönes Comic-Vergnügen her. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass man mit italienischen Disney-Comics ganz allgemein überhaupt etwas anfangen kann und der eigene Horizont nicht unweit nach Carl Barks und Don Rosa bereits an seine Grenzen gelangt.
Nach der sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit Giorgio Pezzin in den 70er und 80er Jahren arbeitete Giorgio Cavazzano in den letzten Jahren vor allem Scripts der bereits erwähnten Tito Faraci (welcher Cavazzano als seinen Mentor bezeichnet) und Francois Corteggiani aus. Auch Geschichten von Jungautor Stefano Ambrosio und “Shootingstar” Andrea Castellan alias Casty setzt er in den letzten Jahren vermehrt zeichnerisch um..
Auch das ist typisch für Cavazzano, der also auch in der Zusammenarbeit mit Autoren immer etwas Neues ausprobieren möchte, bevor alte Strukturen zu sehr verkrusten. Entgegen seiner eigentlichen Gewohnheit, am liebsten völlig allein zu arbeiten, hat er seine Zeichnungen in letzter Zeit auch vermehrt von Sandro Zemolin tuschen lassen (beispielsweise bei den Drachenrittern).
Weiterhin erstellt er auch sehr fleissig ausgesprochen schöne Cover, u.a. für das “Topolino” und das französische “Mickey Parade Géant”, welche die deutschen Titel – vornehm formuliert – in den Schatten stellen.

Christian Peters, 2007

Highlight-Rubrik mit zahlreichen Comic-Highlights von Giorgio Cavazzano.


Interview der Splashpages mit Giorgio Cavazzano
Infos über Giorgio Cavazzano von Frank Stajano, übersetzt von Alex Görig, hier geht's zum Originaltext

Verwendete Quellen:
• "The Art of Giorgio Cavazzano"; Loscarabeo; ISBN-88-86131-51-8
• REDDITION – Zeitschrift für Graphische Literatur Ausgabe 43
• Inducks Deutschland;
http://de.inducks.org/
• Duckipedia;
http://www.duckipedia.de/