Girogio
Pezzin, mit Sicherheit einer der bedeutendsten
Disney-Comic-Autoren, wurde im September 1949
wie übrigens so mancher seiner
italienischen Kollegen in Venedig (genauer gesagt
in Mestre) geboren.
In den 70er Jahren begann er seine Karriere bei
Disney und schuf zusammen mit anerkannten
Topzeichnern wie Giorgio Cavazzano oder Massimo
de Vita zahlreiche Klassiker der
Disney-Comic-Geschichte.
In den letzten Jahren ist es relativ ruhig um ihn
geworden. Die Gründe hierfür hat er uns unter
anderem anvertraut. Als Übersetzer stand uns
freundlicherweise wieder einmal Armando Botto von
Papersera.net zur Verfügung.
Giorgio Pezzin
LTB-Online:
Herr Pezzin, erst einmal vielen Dank, dass Sie
sich die Zeit für das Interview mit uns nehmen.
Als erstes würde ich gerne wissen, ob Sie heute
überhaupt noch für Disney arbeiten? Es gab in
letzter Zeit auffällig wenig Pezzin-Geschichten
im italienischen Topolino (Dem Pendant zum
Lustigen Taschenbuch in Italien). Vor allem in
den letzten 3 Jahren gab es nahezu keine neuen
Storys mehr von Ihnen zu lesen. Falls Sie nicht
mehr für Disney arbeiten sollten was
machen Sie heute?
Giorgio
Pezzin: Ich habe seit etwa 3 Jahren
nicht mehr für Disney Italia gearbeitet. Meine
letzte Geschichte war Topolino e i giochi
di corte. (Zusammen mit Marco Palazzi,
erschienen in Topolino 2559, Anm. v. LTB-Online).
Das ist das Resultat einiger unterschiedlicher
Ansichtsweisen zwischen Disney Italia und mir.
Dazu kommt, dass man es dort nicht versteht, mit
den Mitarbeitern vernünftig umzugehen und sie so
zu behandeln, wie sie es verdienen.
Aktuell schreibe ich die Geschichten für das
"Winx Club Magazine", zusammen mit
meiner Frau (Manuela Marinato, Anm. v.
LTB-Online). Das Heft hat sehr großen Erfolg und
verkauft sich sehr viel besser als etwa
"Witch".
Eine sehr gelungene Kooperation von Pezzin
mit Guido Scala:
"Eine finanzpolitische Lektion" aus LTB
180.
LTB-Online:
Dann möchte ich als nächstes gerne
wissen, wie Sie dazu gekommen sind, Comicautor zu
werden. Darüberhinaus, warum es gerade die
Disney-Storys gewesen sind, die Sie doch
zumindest über einen langen Zeitraum geschrieben
haben?
Gibt es Vorbilder, die Sie direkt beeinflusst
haben?
Haben Sie vielleicht auch einmal versucht, eine
Zeichnerkarriere zu starten, um die eigenen Ideen
auch einmal komplett selbst so umsetzen zu
können, wie man es sich vorher vorgestellt hat?
Als Autor sind sie ja darauf angewiesen, dass die
Zeichner ihre Ideen richtig umsetzen.
Giorgio
Pezzin: Zu Disney und zu Comics
ganz allgemein bin ich über Giorgio
Cavazzano gekommen, der damals noch nach einem
Tuscher suchte. Da ich damals gerade mein Studium
beendete, hatte ich nicht genug Zeit für diesen
Job und wurde stattdessen Autor.
Darüberhinaus hat mir das Erfinden von
Geschichten ohnehin schon immer sehr gelegen.
Bei der Zusammenarbeit mit Cavazzano und de Vita
sind immer Zeichnungen entstanden, die meine
Erwartungen weit übertroffen haben.
Nichtsdestotrotz manchmal hätte ich meine
Geschichten auch schon ganz gerne selbst
gezeichnet. Und vielleicht mache ich das sogar
eines Tages.
Wie auch immer, ich würde lieber Bücher
illustrieren als Comics zu zeichnen.
LTB-Online:
Können Sie uns erzählen, wie so eine
Geschichte normalerweise entsteht? Woher nehmen
Sie Ihre Ideen?
Giorgio
Pezzin: Ich lese viel eigentlich
über fast alles. Dann gehe ich in mich, suche
mir ein grundsätzliches Thema oder auch
nicht... Generell ziehe ich meine Inspirationen
oft aus Dingen die ich in Büchern oder
Zeitschriften gelesen habe oder einfach aus dem
aktuellen Tagesgeschehen.
In der Pezzin-Geschichte "Das verlorene
Testament" (Zeichnungen Ubezio, LTB 143)
treffen Micky und Goofy auf ihr früheres Ich.
LTB-Online:
Wieviele Vorgaben haben Sie erhalten,
bevor Sie eine neue Geschichte geschrieben haben?
Geben die Herausgeber strikte Anweisungen, welche
Themen sie behandeln dürfen und welche nicht,
wie zum Beispiel die einzelnen Disney-Figuren zu
agieren haben?
Und haben sich diese Anweisungen in den letzten
Jahren vielleicht in irgendeine Richtung hin
geändert, so dass Sie zum Beispiel angewiesen
worden sind, vermehrt Gag-Storys anstelle von
Abenteuergeschichten zu verfassen? Eine Tendenz
zu immer mehr kürzeren Geschichten im
italienischen "Topolino" (Und daraus
resultierend auch im deutschen LTB) ja
unverkennbar.
Giorgio
Pezzin: Die Herausgeber machen nie
irgendwelche Vorschläge. Es ist einfach eine
generelle Entscheidung getroffen worden, mehr
kurze Geschichten zu produzieren. Diese
Entwicklung geht im übrigen genau gegen die
Interessen der Autoren, die nach Seiten bezahlt
werden. Der selbe Plot muss heute auf sehr viel
weniger Seiten entwickelt werden und im
Endeffekt verdienst du dann eben auch weniger.
Und selbstverständlich kannst du auf wenig
Seiten keine nette, umfangreiche Handlung
entwickeln, so nimmt der Anteil der
Gag-Geschichten zwangsläufig zu.
LTB-Online:
Wenn man mal einen Blick auf Ihre
Disney-Geschichten wirft, stellt man fest, dass
Sie für einige legendäre Abenteuer-Geschichten
verantwortlich sind. Da dürfte es also auch
außer Frage stehen, dass Sie die komplexeren
Abenteuer den Gag-Storys vorziehen?
Giorgio
Pezzin: Sicherlich. Sie waren immer
meine Favoriten und sind es noch heute. Eine
Geschichte kann nur dann gut sein, wenn sie es
inhaltlich auch verdient, erzählt zu werden.
Pezzin erfand auch die Maus-Version der
Entstehung von Amerika,
in der die Vorgänger von Micky, Minni, Goofy
& Co. die Hauptrollen spielen.
Die meisten Episoden hat Massimo de Vita
gezeichnet.
LTB-Online:
Sie haben in Ihrer Karriere mit einer
ganzen Reihe der großartigsten Disney-Künstler
zusammengearbeitet. Mit einigen von diesen haben
sie sogar über einen längeren Zeitpunkt immer
wieder zusammen Disney-Comics produziert. In den
70er und 80er Jahren haben sie beispielsweise
sehr viel mit Giorgio Cavazzano gemacht, auch
einige Non-Disney-Serien veröffentlicht.
In den 80ern und 90ern sind dann zusammen mit
Massimo de Vita so sensationelle Zyklen wie
"Es war einmal... in Amerika"
entstanden und zuletzt haben sie mit Paolo
Mottura und Marco Palazzi gut zusammengearbeitet.
Bringt es für die Geschichten-Produktion
Vorteile, wenn sich Autor und Zeichner gut kennen
und Sie als Autor beispielsweise gut einschätzen
können, was der Zeichner gut umzusetzen vermag
und was vielleicht auch eher nicht?
Können Sie überhaupt den Zeichner der Plots
mitbestimmen oder unterliegt diese Wahl
ausschließlich den Redakteuren?
Und als letzte Frage zu diesem Themenbereich:
Beenden Sie die Zusammenarbeit nach einiger Zeit,
um neue Einflüsse zu bekommen und nicht immer in
den gleichen Strukturen zu arbeiten oder
warum sind so erfolgreiche Kooperationen wie mit
Cavazzano oder de Vita beendet worden?
Giorgio
Pezzin: Ich habe mit Cavazzano und de
Vita immer sehr gut zusammengearbeitet. Doch die
Zusammenarbeit mit beiden ist recht abrupt
beendet worden, als es dann irgendwann
unterschiedliche Ansichten über den Wert der
Arbeit des jeweils anderen gab. Ein Problem, das
häufiger in der Zusammenarbeit mit Zeichnern
auftritt.
Mit Cavazzano habe ich später darüber
gesprochen und wir haben die Probleme aus der
Welt geschafft. Auf der anderen Seite habe ich
bis heute noch nicht verstanden, warum de Vita
plötzlich angefangen hat, meine Scripte
umzuschreiben...
Natürlich
ist ganz allgemein die Arbeit im Team sehr
nützlich. Dadurch dass man Stärken und
Schwächen des Partners kennt, kann man die
Szenen, die ihm nicht so liegen würden,
vermeiden oder auch andersherum die
passenden Szenen ergänzen.
Manchmal bekommt man auch erst vom Zeichner die
Idee für eine Geschichte. So war Cavazzano zum
Beispiel mal regelrecht wild darauf, ein kleines
Kriegs-Szenario mit Kampfflugzeugen zu zeichnen.
Auf dieser Grundidee aufbauend, habe ich dann
"Paperino e l'eroico smemorato"
(Topolino #1059, in Deutschland leider
unveröffentlicht, Anm. v. LTB-Online)
geschrieben.
Wie
man daran schon erkennen kann: Mit Cavazzano zu
arbeiten war sehr einfach, da es bei ihm
eigentlich keinerlei Grenzen gab.
Eines der vielen Non-Disney-Projekte, bei
denen Pezzin
Cavazzano Plots lieferte: Captain Rogers
LTB-Online:
Eine etwas kürzere Frage... ;)
Bevorzugen Sie Maus- oder Duck-Storys?
Giorgio
Pezzin: Da habe ich keine Vorlieben. Ich
denke, dass ich für beide gute Geschichten
geschrieben habe.
LTB-Online:
Ihre Frau, Manuele Marinato, ist
ebenfalls eine sehr gute Story-Autorin und Sie
haben ja auch schon einige Geschichten zusammen
geschrieben. Gibt es Unterschiede in der Arbeit,
wenn man mit seinem Lebenspartner zusammen
arbeitet?
Giorgio
Pezzin: Eine wunderbare, liebende Frau
zu haben, ist großartig. Dagegen ist alles
andere von verschwindend geringer Bedeutung. Die
Arbeit ist nur ein kleiner Teil des Lebens
und ich versuche davon so wenig zu tun, wie ich
kann...
LTB-Online:
Sie haben einige herausragende Serien
wie "Es war einmal... in Amerika", den
"Kampf der Galaxien"-Epos oder auch die
"Mauser-Chroniken" geschrieben.
Darüber hinaus haben Sie die Zeitmaschine
eingeführt und auch viele tolle Geschichten mit
dieser selbst geschrieben. Wer hatte denn
eigentlich die Idee der Zeitmaschine? Sie, oder
Bruno Concina, der sie erstmals im
"Topolino" verwendete?
Wie sind sie auf die Idee mit der Zeitmaschine
gekommen und sind sie allgemein etwas stolz, wenn
sie sehen, dass Ihre Story-Elemente von anderen
Autoren wieder aufgegriffen werden?
Giorgio
Pezzin: Danke für die Komplimente.
Möglicherweise hatte ich wirklich zuerst die
Idee von einer Zeitmaschine und habe darüber mit
Franco Fossati gesprochen. Dann habe ich mich
aber dazu entschlossen, noch ein paar Nächte
darüber zu schlafen und Concina hatte
schließlich dieselbe Idee. Also haben wir uns
getroffen und entschieden, zusammen was zu
entwickeln. Wir haben dann Abmachungen über die
generellen Abläufe getroffen und fortan hat
jeder seine eigenen Storys dazu geschrieben.
Und natürlich bin ich froh, wenn andere Autoren
meine Ideen aufgreifen genau so wie ich es
zu Beginn meiner Karriere auch getan habe. Das
ist auch gut so: Die Nachfolger stehen immer auf
den Schultern Ihrer Vorgänger, können von
diesen profitieren und neue Höhen erreichen. Die
Meriten, die wir uns verdienen konnten, haben ihr
Fundament ja auch in der Arbeit unserer
Vorgänger.
Das Lob für meine Geschichten gehört also nicht
nur mir allein.
Pezzin darf sich u.a. für die Erfindung der
legendären Zeitmaschine mitverantwortlich
fühlen.
LTB-Online:
Was auffällt: In all den Jahren haben
Sie doch einige Geschichten geschrieben, die das
Thema der Umweltverschmutzung und -zerstörung
aufgreifen. Ganz besonders gut habe ich da z.B.
die Geschichte "Gefahr erkannt, Gefahr
gebannt?" aus LTB 151 ("Topolino e il
mistero dell'ozono", Topolino 1747) in
Erinnerung. Ich nehme an, dass das kein Zufall
ist und sie die junge Generation schon früh mit
den Problemen unserer heutigen Zeit konfrontieren
wollten?
Giorgio
Pezzin: Natürlich. Ich denke, dass
Comics ein sehr mächtiges Werkzeug sein können,
dass leider oft ausschließlich zur Unterhaltung
genutzt wird und nicht in dem Maße zur Erziehung
eingesetzt wird, wie es genutzt werden könnte.
Ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden mit
meinen Geschichten beide Ziele zu erreichen.
Panel aus "Gefahr erkannt, Gefahr
gebannt?" (Zeichnungen: Asteriti)
LTB-Online:
Darauf aufbauend eine abschließende
Frage: Haben Sie jemals damit geliebäugelt eher
Disney-untypische, ernsthafte Komponenten wie den
Tod in ihre Geschichten einzubauen?
Giorgio
Pezzin: Ich denke oft über den Tod und
die anderen existenziellen Fragen nach. Die
Japaner gehen mit diesen Dingen sehr gut um,
insbesondere auch in ihren Comics. Das war aber
bei Disney natürlich nie möglich.
Vor einiger Zeit habe ich aber bereits einmal
eine Serie entworfen, in der diese Themen
definitiv sehr präsent sind (Sogar im Kontext
der klassischen Abenteuergeschichten). Vielleicht
finde ich in der Zukunft ja einen für meine Idee
offenen Verleger und bekomme die Gelegenheit,
meine Ideen vorzutragen.
LTB-Online:
Herr Pezzin, vielen herzlichen Dank für
das Interview!
Juli
2007
Fummetiestorie Die
persönliche Homepage von Giorgio Pezzin
Highlights aus der
Feder von Giorgio Pezzin, rezensiert von
LTB-Online
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