Krieg und
Frieden (LTB 122, Querfeldein über Stock und
Stein)
Was fällt einem zu großen
Klassikern wie Leo Tolstois Epos "Krieg und
Frieden" ein?
Vor allem vermutlich die Klitschko-Brüder, die
in ewigen Werbeunterbrechungen des
Privatfernsehens was von "Tolstoi, schwere
Kost" erzählen. Und dass einen das dann
nicht gerade animiert, schnurstracks in die
nächste Bücherei zu marschieren, um sich dort
seine Werke zu besorgen. Konsequenz: Tolstoi
bleibt für die meisten Menschen für immer ein
Geheimnis. Ob das schade ist, weiß ich nicht -
vermutlich ist es das, sonst wäre er nicht so
bekannt. Aber auch das ist ein Geheimnis.
Zum Glück wird zumindest ein Geheimnis seines
Werkes gelüftet, dem LTB sei Dank. Offenbar hat
sich Giovan Battista Carpi eines Tages durch
"Krieg und Frieden" gekämpft und das
ist auch gut so, denn so konnte er dieses Werk
allen Menschen näherbringen und außerdem für
eine heitere Lesezeit sorgen.
Visionäre Kanoniere
Wir erleben die russische Geschichte
während des Russlandfeldzug Napoleons 1812, in
den Hauptrollen natürlich unsere Freunde aus dem
Duck-Universum. Dagobert gibt den Kopekobert
Dukofjew, den reichsten Mann Russlands, Donald
seinen Neffen, den Lebemann und Tunichtgut Donlev
Dukofjew, der sich auf seinen Reisen in die
hübsche Daitascha Dostof verliebt, verkörpert
natürlich durch Daisy. Außerdem treiben die
Kopekenknacker (die Panzerknacker, natürlich)
ihr Unwesen im fernen Russland - mehr bekannte
Figuren treten allerdings nicht auf, abgesehen
von einem kurzen Auftritt Omas und einem extrem
kurzen Auftritt Gustavs. Wirklich vermisst werden
sie aber auch nicht, denn die Geschichte kommt
gut ohne sie aus - vor allem, da auch die für
diese Story kreierten Figuren absolut sympathisch
wirken.
Die Geschichte im Kurzen: Während Kopekobert
versucht, seinen Neffen Donlev mit einer
unausstehlichen Dame von Adel zu verkuppeln,
kommen die Kopekenknacher in die Stadt. Wie man
das so kennt, ist natürlich die Suche nach der
optimalen Verteidigungsstrategie angesagt. Man
entscheidet sich dafür, das gesamte Gold
einzuschmelzen und mit einer dünnen Bleischicht
scheinbar in Kanonenkugeln zu verwandeln.
Gefühle? Gewäsch!
Dumm nur, dass der Krieg in der Zeit
Moskau erreicht und alle Munition sofort an die
Front geschafft wird - so ergeht es auch den
goldenen Geschossen nicht anders.
Aufgabe des wackeren Donlew ist es daher dann,
die kostbaren Kugeln zurückzuschaffen. So
stürzt er sich in die legendäre Schlacht von
Borodino und springt todesmutig zwischen den
Fronten hin und her, stets auf der Suche nach
Kanonenkugeln aus purem Gold. Als dann auch noch
die Kopekenknacker von der Wandlung des edlen
Metalls erfahren, gestaltet sich die Mission noch
einmal deutlich schwieriger. Glücklicherweise
springt ihm dann aber Daitascha zur Seite und
sorgt mit ihrem weiblichen Charme für die
entscheidenden Ablenkungsmomente, um die
vermeintliche Munition den Händen des Militärs
zu entwenden.
Glück gehabt.
Brennende Suche
Mit dieser Geschichte hat Carpi
eines seiner zahlreichen Meisterwerke
abgeliefert. In ungeheuer plastischen und
beeindruckenden Bildern gelingt es ihm, die
Stimmung im Russland des frühen 19.Jahrhunderts
einzufangen und dem Leser zu vermitteln und dabei
stets die rechte Balance zu halten, die dafür
sorgt, dass sich die Story nicht zu sehr von der
Beschreibung des damaligen Zarenreiches entfernt,
gleichzeitig aber auch stets den heiteren Aspekt
im Auge hat und dabei Bilder für die Ewigkeit
schafft. Besonders verwiesen sei dabei auf Zar
Alexander und Napoleon, die sich bei einer
ergebnislosen Verhandlungsrunde mit
Spielzeugkanönchen beschießen - wunderbar.
Nicht nur, aber auch durch das Platzieren solcher
Gags beweist Carpi, dass er auch ein exzellenter
Autor ist, dem hier eine von der ersten Seite an
komplett stimmige und überzeugende Geschichte
gelungen ist. Auch ohne jegliche Kenntnis der
Vorlage schlägt die Geschichte einen sofort in
ihren Bann, was der tollen Atmosphäre zu
verdanken ist, die Carpi zu vermitteln weiß.
Detailliebe in den Zeichnungen, die nicht in
Übertreibungen ausartet, aber die Bilder stets
mit Leben füllen, sind die große Trumpfkarte.
Zudem sorgt Carpi mit deutlichen Zäsuren in der
Erzählstruktur, nämlich Bildern, die sich über
eine ganze oder sogar zwei Seiten erstrecken,
für Abwechslung, wobei es ihm gelingt, gerade
diese Panels zu absoluten zeichnerischen
Höhepunkten zu machen.
von Carsten Spitz
Autor: |
Giovan Battista Carpi |
Zeichner: |
Giovan Battista Carpi |
Seiten: |
65 |
Veröffentlicht: |
1986 |
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