Informationen über
Harald Saalbach, den damals verantwortlichen
Redakteur des LTBs und seine Arbeit... (2000)
(Artikel aus gea/Kultimativ; mit
freundlicher Genehmigung von Armin Knauer)
Bericht 1: Aus
dem eisenharten Alltag eines Comicredakteurs
7.09 h: Der 39jährige Comicredakteur Harald H.
betritt das Büro, zieht die
abgewetzte Lederjacke aus und kocht eine Kanne
Kaffee.
7.22 h: Nachdem er sich seine
Halbliter-Donald-Tasse randvoll eingeschenkt
hat, öffnet H. die Mappe mit dem LTB-Manuskript
auf Seite 159 an derselben
Stelle, wo er sie gestern abend ratlos
zugeschlagen hat: Kater Karlo haut
Micky Maus mit der Faust auf den Kopf.
8.56 h: Kollege Peter P. (31) kommt, greift nach
der Kaffeetasse, setzt die
Goofy-Schirmmütze ab und zu einem launigen
Zwiegespräch über die Rolle des
Soundwords im Barks-Comic an. H. schweigt
verbissen. P. stutzt: "Wo drückt
denn der Stiefel?" H.: "Brummel! Hier,
guck dir mal an, was die Übersetzerin
da geschrieben hat - ein lasches
"ZACK!", wo Micky grad voll eins
übergebraten kriegt." P. beugt sich über
das Manuskript: "Was steht denn im
"Topolino"? Aha, "SOCK!". Hm
. . . wie wär's mit "BONK!"?"
9.24 h: Der Marktforscher Frank F. (23) schwenkt
die Ratings der letzten
LTB-Ausgabe und verteilt zum Trost für das
schwächliche Ergebnis der
Micky-Geschichte "Die Prinzessin von
Puxtehude" knusprige Croissants, die
man während der Diskussion der Ergebnisse
verzehrt. F.s Soundword-Vorschlag
"KLONG!" ruft bei P. Desinteresse, bei
H. nur unwilliges Kopfschütteln
hervor.
10.04 h: Bei einem Blick auf seinen
Terminkalender bemerkt H., daß es ja
allerhöchste Zeit ist, das neue LTB
zusammenzustellen: "Herrje!". H.
spricht
telefonisch mit seinen freien Übersetzern in
ganz Deutschland die Termine ab
("Grüß dich, Micha, wie geht's, wie
steht's?"), kopiert die italienischen
Manuskripte, versieht sie mit Anweisungen und
Namensvorgaben und verschickt
sie per Eilpost. Micha M. schreibt übrigens bei
Schlägen auf Mickys Kopf -
trotz H.s steter Kritik an zu ausgefallenen
Lautmalereien - unverdrossen
"KLOPPELDIE!".
10.58 h: Produktmanagerin Ilka L. (26) streckt
ihr hennarotes Haupt zur Tür
herein und flötet: "Du, H., unser Meeting
um 11 wegen dem neuen Rückenmotiv
müssen wir verschieben, ich hab' schon 'nen
anderen Termin. Wir müssen das
aber unbedingt noch heute gemeinsam festlegen,
geht's bei dir auch heut
nachmittag um 6?" Bevor sie weiterhasten
kann, muß auch sie einen Vorschlag
machen: "CRASH!" H.: "Seufz!
Typisch Marketing!"
11.55 h: H. eilt zur Kantine und vertilgt eine
Schlachtplatte mit
Sauerkraut.
12.54 h: Keuchend betritt H. das von der
sengenden Mittagssonne durchflutete
Büro, läßt sich auf seinem weichen Ledersessel
nieder und bemerkt dabei, daß
er auf etwas Hartem sitzt: der Hersteller Thomas
T. (36) hat dort während
der Mittagspause eine Blaupause plaziert:
"Huhuch!"
15.28 h: Im Türfrahmen lehnt Graphiker Sigi S.
(44), der mit H. die neue
Bruce Springsteen-CD und das LTB-Cover¹Ú
besprechen will. H. versucht ihn
abzuwimmeln. S. beugt sich neugierig über die
Micky-Abbildung, lacht
meckernd auf und meint ungefragt:
"KNUFF!" gehört da rein!" H.s
Verzweiflung
wächst.
16.59 h: Das Telefonklingeln läßt sich nicht
länger ignorieren. P. nimmt für
den über der Blaupause brütenden H. ab.
"Wann ist die Schnecke endlich
fertig, der Drucker wartet!" brüllt
Hersteller Thomas T. Beschwichtigend
handelt P. eine weitere halbe Stunde für H. aus.
T.: "Aber wenn der bis
dahin nicht fertig ist, hau' ich ihm eins aufs
Hirn, daß es "KLATSCH!"
macht!" P. stupst H. an und flüstert
fragend: "KLATSCH!"?" H.s Gesicht
leuchtet auf: "Das ist es, heißa! Uns
fällt doch immer was ein!"
17.34 h: H. hat die Blaupause abgegeben und eilt
zufrieden zun seinem roten
Kleinwagen japanischer Herkunft. Während er sich
angurtet, sieht er am
Fenster im 1. Stock I. heftigst winken:
"Nett, die Ilka!" Erfreut winkt er
zurück, startet den Motor und fährt los.
17.59 h: In H.s Computer wartet seit exakt 24
Stunden eine ungelesene E-Mail
aus der dänischen Zentrale. Art Director Helge
H. schreibt auf englisch:
"Dear Harald, um keinen Ärger mit Disney zu
bekommen, die ja keine brutale
Gewaltdarstellung in unseren Comics mögen, haben
wir das Panel auf Seite 159
umgezeichnet, wo Black Pete Mickey auf den Kopf
haut ("SOCK"). Statt dessen
kneift Pete Mickey in die Nase. Best regards,
Helge." ehapa
Bericht 2: Harald
S. sorgt in Entenhausen für den guten Ton
"Harr, harr!" So lacht nur einer. Kater
Karlo, der Schrecken aller
Mäusedetektive. Halbfett und mit zwei Errs. Seit
zwölf Jahren schon. Vorher
dröhnte es anders, wenn der massige Ganove sich
an seinen finsteren Plänen
ergötzte: "Har, har". Zugegeben, etwas
schwächlich. Das fand auch Harald S.,
und deshalb hat er es ihm auch schnell
abgewöhnt, kaum daß er den Stuhl des
Chefredakteurs für die Disney-Reihe der
"Lustigen Taschen-Bücher" (LTB)
bestiegen hatte.
Der Stuhl steht in einem flachen, kastenförmigen
Bau des Ehapa-Verlags. Der
Bau steht neben einem tiefen, finsteren Wald und
der Wald neben dem
malerischen Dörfchen Stetten, das wiederum zum
Städtchen Leinfelden gehört.
Harald S., dem Harald H. irgendwie bekannt
vorkommt. Harald H. aus dem Text,
den irgendwer in der Pressestelle des
Ehapa-Verlags gedichtet hat, der sich
im beruflichen Alltag des Harald H. (oder S.?)
offensichtlich gut auskannte.
Und von dem Harald S. (oder H.?) bis zuletzt
nichts wußte.
Saalbach heißt er, lassen wir's doch
endlich raus! Harald Saalbach,
Jahrgang 1954, in Freiburg studierter Germanist,
Zulassungsarbeit natürlich
über den Comic gestern und heute. Genauer: Von
den Höhlenmalereien in Cro
Magnon bis zu Robert Crumb. ("Wie, Sie
kennen Robert Crumb nicht? Den
Gottvater des Underground-Comics?") Harald
Saalbach, der zur Entspannung vom
Comic-Streß Schiller und Goethe liest ("Ein
Comic-Redakteur kann nicht
gebildet genug sein, sagte Erika Fuchs
immer." Erika Fuchs, die Päpstin der
Comic-Redakteure und erste "Chefredakteurin
Micky Maus" bei Ehapa). Der Kino
liebt, vor allem Action-Kino ("Es kann nur
einen geben!"),
Underground-Comics von Robert Crump ("ein
Loser halt"). Und Cees Noteboom,
Tolkien und den Disney-Zeichner Carl Barks
("auch ein Loser"); die Leiden
des jungen Werthers und Donald Duck ("noch
ein Loser").
Dieser Saalbach also ist der Mann, der Kater
Karlo dreckig lachen läßt. Kein
Wort, kein Satz, kein "Arrrrggghh",
kein "pongggg!!" in den bunt
aufgemachten Büchlein, das nicht unter seinen
kritischen Augen bestehen
müßte. Die Lautmalereien sind zentraler
Bestandteil seines Wirkens, insofern
ist der leicht satirisch gefärbte Tageslauf auf
Seite 3 nicht aus der Luft
gegriffen. Stolz färbt Saalbachs Stimme, als er
erzählt, wie Micky und Goofy
durch die berstenden Sprossen einer Holzleiter in
einen Heuschober plumpsten
und ihm die einzig passende Lautmalerei für das
hochkomplexe akustische
Geschehen durch den Kopf schoß:
"Tschrack!"
"Die Welt muß sprachlich in Ordnung
sein", sagt Saalbach. Außerhalb der
Sprechblasen, natürlich vor allem innerhalb. Nun
könnte man meinen, Saalbach
habe vor allem damit zu tun, die Blasentexte von
Parteipolitik und Verbalsex
zu reinigen, doch das trifft nicht den Kern des
Problems. Zwischen
fünfzehnhundert und zweitausend Figuren tummeln
sich in Entenhausen, eine
Menge davon verwandschaftlich verbandelt, genauer
gesagt vertantet und
veronkelt - aufgrund der No-Sex-Klausel. Ein
kompliziertes soziales Gefüge
mit mächtigem Eigenleben. Wehe dem Redakteur,
der mal einen Satz
durchrutschen läßt, der da nicht reinpaßt!
"Als ich 1986 hier anfing, gab es
eine Geschichte, in der sich Micky und Dagobert
begegneten - was ja selten
vorkommt. Ich ließ Dagobert Micky duzen, er
wiederum siezte ihn - wegen des
Altersunterschieds." Worauf Fans den Verlag
mit Briefen bombardierten, was
denn nun stimme? "In einer uralten
Geschichte aus den 30er Jahren hatte
Micky Dagobert nämlich geduzt!"
Noch komplizierter wurde es, als Donald im
historischen Japan landete und
dort auf Daisy traf, die in dieser Geschichte
eine Shogun-Prinzessin war.
"Siezt oder duzt oder ihrt er sie? Ich saß
da mit Schweißperlen auf der
Stirn! Am Ende ließ ich sie alle duzen - bis auf
meinen Schurken, den alle
siezten."
Man sieht: Disney-Fans sind Puristen. Die
radikalsten unter ihnen nennen
sich "Donaldisten" (www.donald.org) und
beharren darauf, daß Entenhausen
wirklich existiert. Irgendwo da draußen in einer
Parallelwelt, die es zu
erforschen gilt. Der Forscherdrang der Hamburger
Gruppe hängt wie ein
Damokles-Schwert über unserem Comic-Redakteur;
andererseits helfen ihm die
Donaldisten mit ihrem Spezialwissen bei Bedarf
auch schon mal aus der
Patsche.
Saalbach also brütet im malerischen Stetten
über wilden italienischen
Kopfgeburten, die so hingefummelt werden müssen,
daß sie dem neuesten Stand
donaldistischer Forschung standhalten.
Italienisch? Richtig gelesen! Dorther
stammen die Geschichten zum größeren Teil und
nicht etwa aus den Vereinigten
Staaten. "Disney-Comics sind in den USA kein
Thema", sagt Saalbach, der
Gladstone-Verlag habe seine Taschenbuch-Reihe
kürzlich sogar komplett
eingestellt.
Nein, die eigentliche Heimat von Micky Maus und
Konsorten ist Italien. Dort
läuft unter dem Titel "Topolino" die
Taschenbuch-Serie, die für die
LTB-Reihe Pate gestanden hat, dort werden die
meisten Geschichten erfunden
und gezeichnet, um später im Rahmen eines
Comic-Recyclings in den LTB-Bänden
zu landen. Dort haben die Figuren ihre
raumgreifende Gestik her, mit der sie
wild fuchtelnd durch die Geschichten rennen, als
wären sie bei einem
In-Italiener angestellt.
Nur den roten Faden, den haben die Geschichten
öfter mal nicht aus dem Land
des würzigen Rotweins mitbekommen. Weil man dort
mehr auf Situationskomik
steht als auf sauber durchkonstruierte Stories,
wie Saalbach vermutet.
Anders als im Land der Maschinenbau-Ingenieure
und Elektrotechniker. Also
müssen Leute wie Saalbach ihn zuweilen mühsam
rekonstruieren, den roten
Faden.
Umso mehr, als Disney-Comics hierzulande ohnehin
einen schweren Stand haben.
Hier, wo Erwachsene sie heftig als Kinderkram
abtun und Kinder grundsätzlich
behaupten, sie wären nur was für noch jüngere
Kinder. Merkwürdig nur, daß
die bunten Bände Umfragen zufolge zu siebzig
Prozent von Erwachsenen gelesen
werden. "Die meisten möchten zurückdriften
in ihre Jugend", vermutet
Saalbach, aber offenbar mag nicht jeder dazu
stehen.
Sicher, die Geschichten haben einen kindlichen
Zug, aber vor allem die
Donald-Geschichten sind auf kindliche Art
subversiv, und das fasziniert den
Liebhaber von Underground-Comics. "Donald
ist völlig undiszipliniert",
schwärmt Saalbach, "er steigert sich aber
manchmal unglaublich in Sachen
rein." Völlig in seinem Element erzählt
er, wie Donald den simplen Versuch,
einen Fisch zu fangen, zu immer ausgefeilteren
Methoden treibt, bis hin zu
einer Wasserbombe - mit der er natürlich selber
hochgeht. "Früher war das
noch eine sehr viel anarchischere Welt. Das ist
nicht mehr so, was ich fast
ein bißchen bedaure." Denn irgendwie ist es
doch eine kleine Rache an den
Zwängen des Alltags, wenn Kater Karlo, Gundel
Gaukelei und Co. mal alles so
richtig auf den Kopf stellen. Und wenn Donald mal
wieder gerade dann das
übelste Chaos hinterläßt, wenn er sich am
meisten Mühe gibt, entfährt uns,
wenn wir nicht aufpassen, ein
schadenfroh-verhohlenes Gelächter: Harr, harr!
Armin Knauer
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